Die Familie Döry von Jobaháza
Die Familie Döry von Jobaháza ist ein uraltes und weit verzweigtes ungarisches Adelsgeschlecht. Spätestens um etwa 1700 waren Angehörige auch in der Residenzstadt Wien nachweisbar. Ödön/Edmund Freiherr Döry von Jobaháza hatte es bereits zum k.k.Kämmerer gebracht, als ihm am 16.Juli 1860 in Mauer bei Wien der Sohn Miklós Károly Mária Ödön geboren wurde. Als Nikolaus Freiherr (=Baron) von Döry begann dieser vorerst eine typische Militärkarriere, wurde später als Oberleutnant des Husarenregiments Nr. 6 dem im Wiener Palais Coburg residierenden belgischen Prinzen Philipp zugeteilt und fand um 1890 als Liebhaber von dessen skandalträchtiger Frau Louise Marie Amélie, der Schwägerin des Kronprinzen Rudolf, auf ‚delikate‘ Weise Aufmerksamkeit in den allerhöchsten Wiener Kreisen. Dies kostete ihn zwar seinen Adjutantenposten, verhinderte zwei Jahre später aber nicht die Beförderung zum Rittmeister. 1893 heiratete Nikolaus die Freifrau Daisy Jane Kann, eine Stieftochter des Bankiers Sigmund Reitzes. Zwischen 1894 und 1908 kamen die sechs Kinder Andor, Margit, Ladislaus/Laszlo, Aladar, Jolanta und Viola zur Welt.
1909 erwarb das Ehepaar den Hof Stoll an der Grenze Klosterneuburgs und ging daran, ihn großzügig zu ihrem Sommersitz auszubauen. Es entstanden einige Nebengebäude, darunter das Pförtnerhaus, dessen eigenständige Architektur laut ‚Ein Jahrhundert Architektur in Klosterneuburg’ an das Englische Landhaus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert. Mit Ernst Gotthilf hatte das Vorhaben auch einen prominenten Architekten, der nach Anfängen im Büro Fellner & Hellmer u.a. im Jahr 1905 das ‚Haus der Kaufmannschaft‘ am Wiener Schwarzenbergplatz entworfen hatte.
Der Baron wurde als 'Grand Seigneur im edelsten Sinn des Wortes' beschrieben, der sich 'allgemein höchster Wertschätzung' erfreute: sei es als Verwaltungsrat der Pottendorfer Baumwollspinnerei, als Obmann der Feuerwehr Obersievering, als Mitglied des Wiener Schachklubs, im Vorstand des Österreichisch-Ungarischen Foxterrierklubs oder als Initiator der Klosterneuburger Ortsgruppe des Österreichischen Flottenvereins...
Eine Zäsur im feudalen Leben der Familie [1], [3] brachte - wie überall - der Ausbruch des Weltkriegs: Nikolaus Baron Döry von Jobaháza meldete sich als hochdekorierter Rittmeister noch 1914 zum Dienst und stellte kurz darauf einen adaptierten Teil seines Klosterneuburger ‚Schlosses‘ für verwundete Soldaten zur Verfügung. Natürlich zeichnete er auch fleißig Kriegsanleihen. 1916 wurde er - bereits außer Dienst - 'ausnahmsweise' noch zum Major befördert. Übrigens brachte es auch sein jüngerer Bruder Ladislaus/Laszlo zu hohen militärischen Weihen, er war Flügeladjutant der beiden letzten k.u.k. Kriegsminister. Außerdem kannte die k.u.k. Armee noch einen zweiten Nikolaus Döry von Jobaháza, ebenfalls bei den Husaren, aber 1866 in Mihály im ungarischen Komitat Győr-Moson-Sopron geboren; dort findet sich noch heute ein Schloss Döry, ebenso wie in den Gemeinden Girincs, Kisdorog und Zebegény.
Trotz Zerfall der Donaumonarchie und Adelsaufhebungsgesetz wurde noch bis 1920 standesgemäß im ‚Wiener Salonblatt‘ angezeigt, wenn sich Baron und Baronin von der Wiener Wohnung Praterstraße 78 nach Klosterneuburg begeben wollten - oder umgekehrt. Wenige Jahre später, am 12. September 1923, verstarb Nikolaus Freiherr Döry von Jobaháza schließlich in seinem zur Pfarre Kierling zuständigen Landsitz. Daisy Jane Freifrau Döry von Jobahaza überlebte ihren Mann um fast dreizehn Jahre, ihr Sterbeort am 24.4.1936 war ebenfalls Hof Stoll.
In der Zwischenzeit waren die Kinder in einen jahrelangen Rechtsstreit involviert, Auslöser war schon Mitte der 1920er Jahre der allgemeine Vermögensverlust und das Einfordern des Erbes, das ihnen der Stief-Großvater Sigmund Reitzes testamentarisch in Aussicht gestellt hatte.
Nach dem Vorbild des Vaters waren die Söhne Andor und Ladislaus in der Welt des Schachsportes anerkannte Größen; in der Schach-Literatur ist die 'Döry-Verteidigung' bis heute ein Begriff. Laszlo, wohnhaft in Klosterneuburg, Buchberggasse 29 trat auch als Konzertpianist und Komponist hervor und war deklarierter Legitimist. Als Bezirksleiter des ‚Reichsbundes der Österreicher’ betrieb er erfolgreich die Ernennung ‚Seiner Majestät Kaiser Otto‘ zum Ehrenbürger der Babenbergerstadt. Ein diesbezüglicher Beschluss des Gemeindetags von Ende 1936 wurde unverzüglich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder aufgehoben. Ladislaus Döry nahm öffentlich gegen das NS-Regime Stellung und wurde 1943 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod verurteilt; das Urteil wurde allerdings nicht vollstreckt.
Auch sein Bruder Aladar, Rechtsanwalt in Wien, war im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er wurde 1943 gemeinsam mit den prominenten NS-Opfern Ella Lingens und Karl Motesizcky in das KZ Auschwitz deportiert, wo er zu den wenigen Überlebenden zählte. Die Verbindung zur Familie Motesizcky, wie die Jobaházas von ungarischem Uradel, bestand über seine Schwester Margit bzw. deren Mann Heinrich Lieben, der 1945 im KZ Buchenwald ermordet wurde.
Karl Motesiczkys Schwester Marie-Louise hingegen konnte zusammen mit ihrer Mutter nach England emigrieren, wo Oskar Kokoschka ihr Freund und Elias Canetti ihr ‚Liebhaber ohne Adresse’ wurde. Als Malerin und Schülerin des bedeutenden Expressionisten Max Beckmann fand sie erst sehr spät internationale Anerkennung. Eine große Wanderausstellung im Jahr 2006 enthielt u.a. ein Porträt von Margit Döry aus dem Jahr 1963 [4] - ein Zeichen des andauernden verwandtschaftlichen Kontakts. Margit Döry-Jobaháza veröffentlichte bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 noch einige Lyrik-Bände; wie ihr Bruder Aladar und ihre Großmutter wurde sie in der Familiengruft auf dem Döblinger Friedhof [2] bestattet.
Die kurze Nikolaus Döry-Gasse in Kierling-Doppeln bietet eine eher bescheidene, lokale Hommage an den einstigen ‚Herrn vom Stollhof’. Größer ist die Zahl der Menschen - hauptsächlich Wien-Tourist:innen -, die auf den Namen ‚Döry' im Zusammenhang einer Torte aus dem Sortiment der Hofkonditorei Demel stoßen. Es ist allerdings nicht sicher, ob sie einst in 'unserem' Zweig der Familie erfunden wurde !
(c) Manfred Pregartbauer, Mai 2021